Buchbesprechung „Projekt Lightspeed“

Ein Beitrag von Dr. Hartmut Klähn

Inhalte

Hartmut Klähn stellt Ihnen das neue Buch der beiden BioNTech Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin vor. Mehr über Hartmut Klähn können Sie auch in unserem Beitrag zum Thema “Selbstbestimmt Sterben” erfahren, in dem er im Gespräch mit Kara Pientka über das Thema Sterbefasten spricht.

Projekt Lightspeed: Der Weg zum BioNTech-Impfstoff - und zu einer Medizin von morgen

Eine von den Medien kaum in den Vordergrund gestellte Kurzmeldung zu einem bis dahin unbekannten Virus weckte in dem Virologen und Mathematiker Ugur Sahin den Verdacht globaler Gefährdung. Ein Corona-Virus, das übertragbar war bevor Symptome auftraten, ließ eine exponentielle Verbreitung befürchten. Ungeahnte Folgen einer Pandemie mit katastrophaler Überlastung weltweiter Gesundheitssysteme und hunderttausenden Toten schienen unabwendbar. Innerhalb von Stunden wurde Sahin klar, dass nur eine möglichst zügige Entwicklung eines Impfstoffs Abhilfe versprach.

Das türkischstämmige Ehepaar die Ärztin, Immunologin und Unternehmerin Özlem Türeci und Ugur Sahin Immunologe, Dozent an mehreren Universitäten, Gründer mit seiner Ehefrau und Christoph Huber der Mainzer Firma BionTech, entwickelte zuvor seit 30 Jahren bereits acht Wirksysteme zur Bekämpfung von Krebserkrankungen. Sie projektierten Impflinien gegen Grippe, HIV, Malaria und Tuberkulose.  Zur Bewältigung dieser Aufgabe war ein dornenreicher Weg mit vielen Anstrengungen, Hemmnissen und sogar drohendem finanziellen Ruin zurückzulegen. Allein das Team zusammenzustellen, das bei nächsten immer wieder unüberwindlich scheinenden Stufen Lösungen bot, konnte nur durch die kollegiale und konkurrenzferne Art der Forscher gelingen.  Die Vernetzung mit vielen Wissenschaftlern, besonders auch von Özlem Türeci gefördert, schaffte Lösungen für hochkomplexe Entwicklungen. Damit waren Voraussetzungen für erste Anwendungen zur Heilung von Krebskranken geschaffen worden.

Der Korrespondent der Financial Times Joe Miller setzt hier als Autor an. Das Buch „Projekt Lightspeed“ schildert die atemberaubende Schnelligkeit des vielschichtigen Umschwungs von der Entwicklung der Krebsmedikamente zu einer völlig neuartigen Kreation eines mRNA-Impfstoffs durch die Firma BionTech. Er hat das Forscherehepaar in dieser Zeit bei ihrem Vorhaben begleitet. Er erhielt durch sie die notwendige wissenschaftliche Befähigung und baute mit beiden eine tragfähige Freundschaft auf. Im letzten Satz würdigt der Autor das Wissenschaftlerehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin: „Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass es die schiere Willenskraft jener beiden Menschen war, die uns an den Punkt gebracht haben, an dem wir hier heute stehen. … Der entscheidende Wirkstoff hinter dem Vakzin … war nicht die RNA: Es waren vielmehr Özlem Türeci und Ugur Sahin.“

Der Autor Joe Miller scheut sich nicht, die verwirrend vielfältigen Schritte der Wandlung vom Krebsmittel zum Impfstoff bis in kleinste Details zu schildern. Für Personen ohne entsprechende Vorbildung ist Überforderung nicht auszuschließen. Die Umsetzung in Bildern einer Schlacht mit Soldaten, Generälen und übermächtigen Feinden macht auch pazifistisch eingestellten Lesern die Auseinandersetzung mit einem höchst gefährlichen inneren Gegner plakativ deutlich. Ein so schwieriges wissenschaftliches Thema aufzubereiten, ist dem Autor dennoch gelungen. Er zieht einen Spannungsbogen, der den Leser bis zum Ende fesselt.

Medizinische und biologische Probleme wie auch die wirtschaftlich-unternehmerische Seite finden detailreiche Darstellung. Der Umschwung von der Entwicklung eines Krebsmedikamentes zu einem Impfstoff führte bei den Kapitalgebern zu massiver Verunsicherung. Einige Punkte seien herausgegriffen: Die Krebsmittel mussten von einer ins Blut zu applizierenden Anwendung in einen Impfstoff zur Injektion in den Muskel gewandelt werden. Das ist ein kostenintensives hochriskantes Unterfangen. Die Hürde, einen Impfstoff durch Testungen legalisiert anbieten zu können, machte die kontrollierte Gabe an Zehntausende Probanden zum Nachweis der Verträglichkeit erforderlich. Die Kühlkette des zu transportierenden Impfstoffes musste organisiert und finanziert werden. Des Weiteren konnten Konkurrenten vergleichbare Produkte auf den Markt bringen. Sollte der Wirkstoff sich als nicht anwendungsfähig erweisen, wäre der Einsatz aller Mittel vergebens gewesen. So blieb ein unmöglich überschaubares Risiko bei der Finanzierung. Der potente und ähnlich ausgerichtete Partner, der Pharmazieriese Pfizer, lehnte eine Zusammenarbeit damals ab. Der Autor versteht diese Spannung in einen Krimi zu wandeln, der die Leser mitfiebern lässt.

In dieser kritischen Phase ist es dem Wissenschaftlerehepaar zu verdanken, ihre Vision weiter zu verfolgen. Unter persönlichem Maximalrisiko haben sie die wissenschaftliche Arbeit fortgesetzt. Auf Ihre Schaffenskraft vertrauend, in Zukunft Ergebnisse vorweisen zu können, gewannen sie schließlich den notwendigen Kapitalzuschuss und die erforderliche Partnerschaft geeigneter Firmen. Schwierige Überzeugungsarbeit war gegenüber Gesundheitspolitikern zu leisten, um die Genehmigungen für Testungen im Parallelverfahren zwecks zeitlicher Verkürzung führen zu können. Verhandlungen zu Patenten und handelsrechtlichen Verfahren mit den wirtschaftlich übermächtigen USA gegenüber dem „nur“ innovativen Europa mussten durchgestanden werden. Schließlich wurden alle Hemmnisse aus dem Weg geräumt, der Pharmariese Pfizer kam mit ins Boot, damit kam eine Massenproduktion zur Bewältigung der Pandemie in greifbare Nähe.

Zehn Monate nach dem Umschwung zur Erstellung des mRNA-Impfstoffes gegen Covid-19 wurde einer 90-jährigen Britin ein zugelassener Impfstoff injiziert. Aber ohne Atempause haben Türeci und Sahin weiter arbeitend Voraussetzungen geschaffen, den Impfstoff millionenfach zur Verfügung zu stellen. Die vielfältigen Arbeitsschritte zur Beschaffung aller erforderlichen Mengen der Bestandteile für die Produktion, Automatisierung der Herstellung, das Abfüllen und Bereitstellung der Kühlkette wurden initiiert und die global wirkenden Mitarbeitenden rekrutiert. So konnte der Comirnaty-Impfstoff in Mengen zur Verfügung gestellt werden, um ihn in Milliardendosen weltweit zu vertreiben.

Im Nachwort der Mitautoren Türeci und Sahin wird die unermüdliche Bereitschaft aller Mitarbeitenden und Kooperationspartner gewürdigt. Doppelschichten waren nötig, um begrenzte Laborkapazitäten nutzen zu können. Der Verzicht auf privates Leben vieler schaffte die Voraussetzung für den letztendlichen Erfolg. Hunderte von Mitarbeitenden in unterschiedlichen Firmen und Ländern unter eine gemeinsame Anstrengung zu vereinen, ist das große Verdienst des Forscherehepaares. Legendär wird geschildert, wie Özlem Türeci und Ugur Sahin ihre Hochzeitszeremonie auf dem Standesamt absolvierten, um direkt anschließend wieder die Laborarbeit fortzusetzen. „Wir sind eben echte Nerds“ sagte Özlem Türeci. Die Tochter beschrieb das Leben der Forscher: „Wir sprechen eigentlich nie über etwas anderes“.

Das Buch fällt in eine Zeit, in der Querdenker und Corona Leugner in ihren Aussagen und Verhalten Verunsicherung und Gefährdung mit sich bringen. Es steht zu hoffen, dass „Projekt Lightspeed“ eine Versachlichung der Debatten und Korrektur von Falschinformation bringt. Somit ist dieses gut lesbare Sachbuch uneingeschränkt dem Leser zu empfehlen. Positiv zu vermerken ist die Übersetzung aus dem Amerikanischen. Von 7 Personen bewerkstelligt wirkt das vorliegende Buch sprachlich wie aus einem Guss.

Für das Forscherehepaar ist persönlicher Reichtum nicht bedeutsam. Özlem Türeci denkt bereits weiter: „Wir glauben, dass diese Technologien eine neue Revolution mit sich bringen werden. Das war erst der Anfang.“

Über das Buch – Projekt Lightspeed

Autor: Joe Miller mit Özlem Türeci und Ugur Sahin

Herausgeber: ‎ Rowohlt Buchverlag; 2. Edition (14. September 2021)

Sprache: ‎ Deutsch

Gebundene Ausgabe: ‎ 352 Seiten

ISBN-10: ‎ 3498002775

ISBN-13: ‎ 978-3498002770

Originaltitel: ‎ The Vaccine